DER APPELL 2019 | 06.09.2019, 20:30 Uhr, Marktplatz Mannheim
Müssen wir das Aussterben der Arten stoppen oder eine Anti-Empathie-Bewegung aufhalten, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche oder das Abschmelzen der Pole oder...? Was ist am Drängendsten? Was sollen wir tun?
Der INDUSTRIETEMPEL hat einen Wettbewerb ausgerufen: Wer hält den flammendsten Appell zur Rettung der Welt und gewinnt DIE KLARE KANTE und 1.000 Euro Preisgeld?
Die Gewinnerin oder der Gewinner hält den Appell am Freitag, den 6. September 2019, im Rahmen der spektakulären Aufführung DER APPELL, bei Einbruch der Dunkelheit, mitten in Mannheim. Die Preisverleihung findet direkt im Anschluss statt.
Die 30 besten Texte veröffentlichen wir auf industrietempel.de, die 20 besten zusätzlich in der Printausgabe DER APPELL 2019.
DER APPELL ist ein Jubiläumsprojekt zu 30 Jahren außergewöhnliche Projekte für außergewöhnliche Orte.
Juror ist Dr. Klaus Kufeld, der Gründungsdirektor des Ernst Bloch Zentrums.
Der Wettbewerb: Wer hält den flammendsten Appell zur Rettung der Welt? Leidenschaftlich, überzeugend, mitreißend! Einsendeschluss: Freitag, 23. August, 12 Uhr.
Danke an: Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, Stiftung der Sparkasse Rhein-Neckar Nord und MVV AG, GML – Gemeinschafts-Müllheizkraftwerk Ludwigshafen GmbH
Dein Ansprechpartner bei Rückfragen:
Thomas Reutter
mobil: 0172 - 7259222
industrietempel.de
buero@industrietempel.de
Videos von Appellen zur Rettung der Welt:
Luisa Neubauer,
Mitorganisatorin der Schulstreiks, bei der RWE-Hauptversammlung 2019
Greta Thunberg, Klima-Aktivistin am 28.05.2019
Alle Reden von Greta Thunberg:
https://www.fridaysforfuture.org/greta-speeches
Werner Eckert, ARD-Umweltexperte am 08.10.2018:
https://www.tagesschau.de/kommentar/klimabericht-kommentar-101.html
António Guterres, UNO-Generalsekretär am 10.09.2018
Barrack Obama, US-Präsident 2009-2017 am 04.08.2015
Die gesamte Rede im Wortlaut:
Fotos Timo Schuster:
Die Proben zu DER APPELL. Emmerich Pilz als Gott, Simonetta Zillhardt als Grete, Matthias Paul als Mephisto:
Der Klimawandel – Schicksal oder bewältigbare Herausforderung?
Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht! So dichtete es 1844 Heinrich Heine angesichts der politischen Zerrissenheit Deutschlands und der Unterdrückung freiheitlichen Strebens. Heute muss ich sagen: Denk ich an unseren Planeten, unsere Erde, in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht…, Plastikmüll in den Weltmeeren, Mikroplastik in der Nahrungsmittelkette, in unserem Körper, globaler Wassermangel, Verseuchung von Gewässern und des Bodens durch Arzneimittelrückstände, Finanzkrise, Hungersnot in Afrika, nukleare Aufrüstung und, und…. und dann natürlich noch der Klimawandel. Und das, obwohl es uns in Deutschland so gut geht, wie noch nie zuvor. Man mag es nicht mehr hören, wir können es nicht mehr ertragen, man will sich unter die Bettdecke flüchten und alles, wenn möglich, vergessen.
Obwohl – beim Klimawandel ist der Kampf dagegen am weitesten gediehen. Im Intergovernmental Panel on Climate Change, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, haben sich über 2000 Wissenschaftler aus 200 Ländern zusammengeschlossen, um sowohl den Stand der Forschung zum Klimawandel als auch Lösungsvorschläge in sog. Sachstandsberichten im ca. 5-jährigen Abstand der Politik zu unterbreiten. Alle sind sich mittlerweile sicher, es gibt einen Klimawandel und dieser ist mit hoher Sicherheit menschgemacht. Einer der Hauptverursacher ist der Anstieg des Kohlendioxids CO2 durch Verbrennung fossiler Brennstoffe und der dadurch hervorgerufene Treibhauseffekt. Die Weltgemeinschaft hat den Kampf gegen den Klimawandel aufgenommen. Die Botschaft der Wissenschaft ist angekommen. Es gibt internationale Klimaschutzabkommen, zuletzt 2015 das von Paris. Es gibt ökonomische Mechanismen zur Vermeidung von CO2-Emissionen. Das Engagement von Parteien für den Klimaschutz beeinflusst mehr denn je das Wahlergebnis. Es gibt Klimaschutzministerien, jede größere Stadt hat Klimaschutzbeauftragte, jetzt gehen Tausende von Schülern auf die Straße und verlangen mehr politische Taten. Der anthropogene Klimawandel füllt die Zeitungen. Doch die CO2-Konzentration zeigt sich hiervon unberührt, Tendenz steigend, von 315 ppm im Jahr 1958 auf 415 ppm heute, ein Wert, den es zuletzt vor 14 Millionen Jahren auf der damals 2 Grad wärmeren Erde gegeben hat.
Da muss man doch die Frage stellen: warum ist unser Handeln wirkungslos? Sind die Maßnahmen nicht ausreichend und setzen vielleicht nicht an den Ursachen an? Kämpfen wir zu wenig? Müssen wir noch mehr demonstrieren? Kämpfen wir gegen den richtigen Feind? Wer ist denn eigentlich der Feind? Ist das Problem vielleicht zu groß? Ist der Klimawandel unser Schicksal, das wir zu ertragen haben und ist unser Kampf vergebens? Jahrelang hat man uns erzählt, es sei fünf Minuten vor zwölf. Ist es vielleicht jetzt schon nach zwölf? Haben wir vielleicht Prozesse in der Natur in Gang gesetzt, die wir nicht mehr beherrschen? Zwar menschgemacht, aber nicht mehr vom Menschen beherrschbar?
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich das Klima stets geändert hat. In der vorletzten Eiszeit vor über 150000 Jahren war Celle unter einem Gletscher begraben, die mitgeschleppten Felsbrocken aus Skandinavien zeugen als Findlinge noch heute davon. Am Ende der letzten Eiszeit vor 12000 Jahren stieg die Temperatur weltweit an und mündete nach mehrmaligem Auf und Ab um 1500 in eine Kälteperiode, die auch als kleine Eiszeit bezeichnet um 1800 langsam zu Ende ging. Seitdem beobachten wir einen unaufhaltsamen Temperaturanstieg um ca. 2 Grad global.
Warum ändert sich das Klima auf der Erde? Es sind acht Faktoren, die unabhängig voneinander, aber auch zusammen auftreten können. Kontinentalplatten bewegen sich mit wenigen Zentimetern pro Jahr, bilden Superkontinente und brechen wieder auseinander. Ein fester Ort auf einer Platte gelangt so auch in andere Klimazonen. Meeresströmungen werden umgelenkt, was wiederum das Klima verändert. Vulkanausbrüche verdunkeln die Sonne und kühlen die Erde ab. Die Anziehungskräfte zwischen Planeten und Sonne verändern Bahn und Ausrichtung ihrer Drehachsen, die Ursache der Eiszeiten. Die Sonne verändert ihre Leuchtkraft, erkennbar an der Zahl und Größe der Sonnenflecken. Gewaltige Meteoriteneinschläge bringen schlagartig das Klima aus den Fugen. Bodenbeschaffenheit und Bewuchs modulieren das Klima. Die gasförmige Zusammensetzung der Atmosphäre ändert sich und mit dem Treibhauseffekt steigt die Temperatur. Der Klimawandel ist multifaktoriell und der in den letzten zwei Jahrhunderten beobachtete Temperaturanstieg aufgrund des Treibhauseffektes dominiert die anderen, auch beobachtbaren, aber schwächeren Einflüsse, wie die der Sonnenstrahlung. Der Mensch verändert das Klima durch die Freisetzung von Treibhausgasen und durch veränderte Landnutzung. Von den Treibhausgasen ist das Kohlendioxid mit 70 % am stärksten, jedoch nicht alleiniger Verursacher, gefolgt von Methan, FCKWS, Stickoxiden und anderen Spurengasen. Die Lösung des CO2 –Problems löst damit noch nicht die anderen Probleme! Auch wenn in der öffentlichen Diskussion dieser Eindruck vorherrscht.
Kommen wir nun zurück zu der eingangs gestellten Frage: Ist der Klimawandel bewältigbar? Wenn wir ihn bewältigen wollen, dann müssen wir die Ursachen kennen. Von daher stellt sich die Frage, was die letztlichen Ursachen des kontinuierlichen CO2-Anstiegs sind? Drei Antworten werden diskutiert. Nicht auf naturwissenschaftlicher, nicht auf politischer, nicht auf technischer, sondern auf einer soziologischen Ebene.
Die erste Antwort. Jeder Mensch auf dieser Erde benötigt zum Leben ein Minimum an Nahrung, Kleidung, Wasser und Energie. Energie, welche überwiegend aus fossilen Energieträgern erzeugt wird. In jedem Land gibt es daher typische pro Kopf CO2-Emissionswerte. In Entwicklungs- oder Schwellenländern, wie z.B. Indien ist dieser Wert niedrig (3.3 t CO2/a Kopf), in reichen Ländern wie der USA ist dieser Wert hoch (28 t/(Kopf a). Mit jedem neuen Erdenbürger erhöht sich entsprechend der Energiebedarf und damit die CO2-Freisetzung. Die Weltbevölkerung wächst bis 2030 um 800 Millionen Menschen, davon allein in Indien 150 Millionen und damit entstehen dort zusätzliche CO2 Emissionen von ~ 500 Millionen Tonnen. Die Bundesregierung will als löbliches Ziel die Emissionen in Deutschland von heute bis ins Jahr 2030 um weitere 300 Millionen Tonnen senken. Dieses mit Mühe und Not vielleicht erreichbare Klimaziel wird allein durch den Bevölkerungszuwachs in Indien um mehr als 200 Millionen Tonnen CO2 zunichtegemacht. Schlußfolgerungen:1. Globales Bevölkerungswachstum ist eine wesentliche Ursache für den Klimawandel und darf 2. im Kampf dagegen nicht weiter ignoriert werden.
Warum diese Ignoranz? Warum die fehlende öffentliche Diskussion darüber? Die Antwort ist einfach: Fortpflanzung ist zum einen ein elementares Menschenrecht, das man niemanden streitig machen will, und zum anderen tangiert das Problem des Bevölkerungswachstums heikle politische, kulturelle und gesellschaftliche Fragen, wie sexuelle Aufklärung, die Rolle von Frau und Mann in einer Gesellschaft, Verhütung und Abtreibung, denen man sich vielerorts nicht geneigt ist zu stellen, insbesondere blockieren die großen Religionen, auch die katholische Kirche, hier einen Wandel.
Nun die zweite Antwort. Ebenso wie es das elementare Recht auf Fortpflanzung gibt, so gibt es auch das jedem Menschen zustehende Recht, seine jeweilige Lebenssituation zu verbessern. Dazu braucht der Mensch im allgemeinen Energie und diese wird, bekanntermaßen derzeit und in absehbarer Zeit noch hauptsächlich mit fossilen Energieträgern erzeugt. Und damit wird CO2 freigesetzt. Der CO2-Sündenfall begann um 1800 mit der Gewinnung und Verbrennung von Kohle. Dampfmaschinen, die Eisenbahn, die Verhüttung von Eisen brachten die menschliche Entwicklung voran. Städte entstanden, die rauchenden Schlote waren sichtbare Zeiten des goldenen Fortschritts. Der Wohlstand, oder anders formuliert, die Verbesserung der eigenen Lebenssituation nahm zu. Und damit nahm auch die CO2-Freisetzung pro Kopf zu. Und dieses Schema gilt weltweit für alle Länder. Schlussfolgerung: Wohlstand hieß und heißt immer noch CO2-Emissionen.
Bestürzende Konsequenz daraus: Will ein Land der Armut entfliehen und sich entwickeln, so wird damit automatisch sein CO2-Ausstoß erhöht. Und da alle Länder die Lebenssituation ihrer Bürger erhöhen wollen, ergibt sich daraus eine enorme Triebkraft für den Klimawandel. Dies gilt auf absehbare Zeit, solange noch die industrielle Entwicklung und insbesondere die Energieerzeugung Kohlenstoff basiert ist.
Wie sieht es in Deutschland aus? Wir leben in einem Luxuszeitalter und wir haben eigentlich alles: Auto, Fernseher, Radioanlage, Telefon, Waschmaschine, Heizung, fließend Warm- und Kaltwasser. Die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Und daß natürlich alle diese wunderbaren Errungenschaften das Leben erleichtern, ist ebenso klar wie, daß man zu deren Betrieb und Erzeugung Energie benötigt. Nicht nur, daß wir in Deutschland diese Dinge besitzen, nein, wir erzeugen und exportieren sie, ja unser Wohlstand basiert darauf. Jedes Auto, das Volkswagen baut und exportiert, stützt den Wohlstand unserer Region, trägt aber auch an anderer Stelle zum globalen Klimawandel bei. Weitere Faktoren.
Nahrung. Früher gab es einmal die Woche Fleisch, heute fast an jedem Tag. Die globale Fleischproduktion trägt mit 18% zu den Treibhausgasemissionen bei.
Medizinische Versorgung. Nur ein Beispiel aus diesem Bereich: die Verpackung aller medizinischen Artikel wie Spritzen, Handschuhe, Binden, in Plastik erzeugen einen immensen Müllberg, tragen auf der anderen Seite aber auch zur Erhöhung des Hygienestandards bei und damit auch zu einem längeren Leben, sprich Verbesserung der Lebenssituation. Mehr als die Hälfte des Plastikmülls wird verbrannt, folglich CO2-Freisetzung.
Sicherheit. Alle Staaten unterhalten Armeen, die im Idealfall, militärische Auseinandersetzungen vermeiden, die Sicherheit im eigenen Land und damit die ungehinderte weitere wirtschaftliche Entwicklung gewähren. Tabu ist jedoch der Beitrag des Militärs zum Klimawandel, dabei ist z.B. die amerikanische Armee der größte Einzelverbraucher an Öl der Welt und damit auch der größte Einzelemittent an CO2.
Reisen. Wir Deutsche sind Reiseweltmeister. Über Weihnachten in Thailand, ein Wochenende in New York, eine Rundreise durch die USA - die niedrigen Flugpreise machen es möglich - CO2 Freisetzung, Verschmutzung der Atmosphäre und Klimawandel inbegriffen - aber komplett verdrängt. Und dann noch der neueste Trend - Kreuzfahrten.
Für 1000 € die berühmten Stätten des Mittelmeers erkunden - auch dies zählt im weitesten Sinn zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation. Und natürlich will jeder Mensch, egal in welchem Land seine Lebenssituation verbessern, sei er auch noch so arm, will ausreichende Nahrung, eine feste Behausung, Wärme, Trinkwasser, schulische Bildung, ein Moped, ein Auto haben – man darf ja noch träumen. Die angestrebten Güter sind überall auf der Welt gleich. Sieht ein Mensch in diesem Land jedoch keine Zukunftsperspektiven mehr, dann entschließt er sich zur Flucht. Und so machen sich denn Millionen von Menschen, insbesondere aus den ärmsten Ländern Afrikas, auf nach Europa, um dort ein Leben unter besseren Bedingungen zu beginnen. Auf dem Mittelmeer waren es 2016 allein 375000.
Und so kommt es dann dort zu diesen unsäglichen Begegnungen. Oben auf dem Kreuzfahrtschiff verschönern sich 4000 Menschen ihr Leben mit einem Besuch der kulturellen Highlights des Mittelmeerraums für einen Preis von 1000 Euro. Unten im vollgepfropften Schlauchboot 40 Menschen auf einer unsicheren Reise mit verbrecherischen Schleusern, für ebenfalls 1000 Euro. Oben auf dem sicheren Deck wird nach dem Motto gelebt „Neapel sehen und dann sterben“, unten in dem Schlauchboot heißt es vor sich hingemurmelt „Sterben oder Neapel sehen“, 5000 Tote allein 2016 bzw. 30000 in den letzten 30 Jahren lassen die Mittelmeerroute zur tödlichsten Seefahrtsroute der Welt werden. Dabei wollen die da oben und die da unten nur ihre jeweilige Lebenssituation verbessern. Und wir ignorieren diese Beweggründe und lassen keine sog. Wirtschaftsflüchtlinge ins Land. Wir sperren sie in Gefängnisse ein und transportieren sie unter hohen Kosten wieder zurück oder zwingen sie in die Illegalität. Dabei wollten alle doch nur ihre Lebenssituation verbessern. Sie haben doch nur dieses zweite Elementarrecht in Anspruch genommen.
Die dritte Antwort ist die menschliche Neugier. Neues zu erkunden, zu entdecken, auszuprobieren, den Geist einzusetzen, um mehr zu verstehen, lag schon immer in der menschlichen Natur. Nicht alle Erfindungen führen automatisch zu mehr Energieverbrauch. Manche reduzieren ihn, wie Wärmepumpen, Energierückgewinnung beim Bremsen, oder intelligente Heizungssteuerungen. Viele erhöhen ihn aber auch. So ist beispielsweise die Erkundung des Weltalls nicht zum energetischen Nulltarif zu erhalten. Wer weiß, daß das Internet 10% aller elektrischen Energie global verbraucht? Kryptowährungen. Der stete Energieverbrauch von Bitcoin alleine beträgt im Jahr soviel wie der von ganz Österreich. Und das nur für Spekulation!
Resumee. Warum also hat die Welt bisher keinen Erfolg in der Bekämpfung des Klimawandels?Dies ist die zentrale Aussage dieses Beitrages:
Der Mensch nimmt drei Elementarrechte in Anspruch: 1. sich zu vermehren, 2. seine Lebenssituation zu verbessern, und 3. neugierig zu sein.
Und weil es die Ausübung von Elementarrechten ist, ist der Kampf gegen den Klimawandel schwierig und so wenig erfolgreich. Wer will sich schon sagen lassen, wieviel Kinder er auf die Welt setzen darf, dass es mit dem Wohlstand nicht dauernd aufwärts gehen kann, dass man nicht alles frei entwickeln und erforschen darf?
Der Papst sagt, die Ursache des Klimawandels sei das Böse im Menschen. Die Erbsünde. Nein, die Ursache ist der Mensch selbst. Die Existenzsünde. Der Mensch in seiner Existenz. Ich lebe, und indem ich diese drei Elementarrechte in Anspruch nehme, trage ich zum Klimawandel bei. Beschneide ich das Lebensrecht anderer, indem ich CO2 freisetze und damit das Klima verändere. Natürlich kommt das Böse im Menschen, die Erbsünde, zu der Existenzsünde dazu: Gedankenlosigkeit im Umgang mit der Natur, Umweltsünder, tumbe Präsidenten, die sich von Lobbyisten bestechen lassen und nicht das Gemeinwohl im Auge haben, und, und, und.
Blicken wir auf die Menschheitsgeschichte, so kommen wir zu dem Schluss: der Klimawandel ist die logische Folge der menschlichen Entwicklung. Ist die logische Folge des Imperativs: Seid fruchtbar und mehret Euch und macht Euch die Erde untertan. 1. Buch Mose. So sehet doch, rufen wir den Schreibern des Alten Testaments zu: Ja. Wir haben uns vermehrt und wir haben uns die Erde untertan gemacht. Wir haben die Luft verpestet, die Meere vermüllt, wir können mit den Atomwaffen die Menschheit auslöschen und jetzt heizen wir Atmosphäre und Ozean auf! Wir haben die Schrift erfüllet! Aber was sollen wir nun tun? Wem sollen wir folgen?
Wir sind damit an einem entscheidenden Punkt der Menschheitsgeschichte angelangt. Es wird immer klarer: Jetzt kann und darf dieser Imperativ nicht mehr gelten. Es muss jetzt heißen: die Schöpfung bewahren, so, dass alle Menschen dieser Erde, heute und morgen, auf dieser Erde gemäß ihren Bedürfnissen leben können – das Gebot der Nachhaltigkeit.
Der Titel dieses Beitrages lautet: Der Klimawandel – Schicksal oder bewältigbare Herausforderung. Die Aussage ist: Der Klimawandel ist unser Schicksal. Aber - in dem Titel liegt ein Widerspruch, denn auch ein Schicksal lässt sich bewältigen. Man kann sich dem Schicksal fügen, seine Folgen ertragen – auf den Klimawandel bezogen heisst dies, sich dem Klimawandel anpassen. Oder man kann sich gegen das Schicksal stemmen – d.h. konkret die Ursachen des Klimawandels bekämpfen, Klimaschutz. Aber wollen wir dies, so müssen wir uns den drei genannten Elementarrechten entgegenstellen.
Was also tun? Zunächst: Was tun gegen das Wachstum der Weltbevölkerung? Es gibt einen elementaren Zusammenhang zwischen nationalem Bevölkerungswachstum und Armut. Je ärmer eine Gesellschaft, umso höher ist die Geburtenrate. Und umgekehrt: entwickelt sich ein Land und verschwindet die Armut, so geht auch die Geburtenrate zurück. Beispiel sind die Staaten Südostasiens. Denn der Schlüssel zur Begrenzung der Geburtenrate ist die Bildung der jungen Frauen. Wo kein Geld ist, das gibt es auch keine Bildung, da ist auch kein Wissen über den eigenen Körper, und ganz wesentlich, kein Wissen und Zugang zu Empfängnisverhütung. Was ist in vielen Staaten die Ursache der Armut? Was behindert die Entwicklung der ärmsten Länder? Die einfache Antwort: Unfähige Regierungen, schädliche wirtschaftliche und finanzielle Machtstrukturen und Krieg. Klimapolitik ist daher Friedenspolitik und Entwicklungspolitik.
Jeder von uns kann mithelfen, die Armut zu verringern, indem er beispielsweise die bekannten Hilfsorganisationen wie Misereor und Brot für die Welt unterstützt. Damit wird dem Einzelnen geholfen, getreu dem Jesuwort: Was Ihr den geringsten unter meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan. Elementare medizinische Versorgung vor Ort, Bau von Schulen, Brunnen, Notunterkünften. Ein großes Feld unterschiedlichster Hilfsaktionen vor Ort, im Dienst an dem Einzelnen. Praktizierte christliche Nächstenliebe. Hilfe von unten. Damit ist aber keine Korruption, Ausbeutung und Raffgier der Regierungen beseitigt. Hier ist die Politik gefragt. Entwicklungshilfe muss deshalb zunehmend mehr an kontrollierbare Bedingungen geknüpft werden. Finanzielle Unterstützung nur bei Erfolg gegen Korruption. Bei Einhaltung der Menschenrechte. Bei angemessener Teilhabe der Bevölkerung an Macht und Ressourcen in ihrem Land. Und Mittel nur an verlässliche Partner vor Ort, sind einige der wichtigsten Bedingungen. Die Deutsche Bundesregierung bewegt sich mit dem Marshallplan mit Afrika zaghaft auf diesem neuen Weg. Hilfe von oben aber mit der Verpflichtung zu dem, was man im Englischen Good Governance nennt.
Was tun gegen den Treibhauseffekt? Die Diskussion in der Öffentlichkeit hierzulande zum Kampf gegen den Klimawandel wird bestimmt durch Forderungen an Regierungen und Politik und betrifft fast ausschließlich technische Maßnahmen. Alternative Energien, Elektromobilität, das 1-Literauto, die CO2-Steuer, Windenergie, Wasserstoff als Energieträger, Kohleausstieg, Dekarbonisierung.
Die Diskussion ist breit, und umfassend, so dass sie nicht weiter ausgeführt werden muss. Eins wird aber deutlich. Bis alle diese sinnvollen Maßnahmen umgesetzt sind, vergehen Jahrzehnte. Man erkennt dies ja an der längst beschlossenen Errichtung einer Stromtrasse vom Norden in den Süden Deutschlands. Nicht nur diese, sondern alle initiierten Baumaßnahmen müssen sozial gerecht sein, finanziell ausgewogen, gendergerecht, konsistent mit europäischen Vorschriften, nicht zu viel Lärm erzeugen, die Belange des Naturschutzes erfüllen und sei es, dass die Nachtruhe des kleinen Ochsenfrosches nicht gestört wird. Dies sind alles wichtige und edle ethische Vorgaben, verhindern aber erforderliche radikale und schnelle Maßnahmen. Das Motto ist: wasch mich, aber mach mich nicht nass. Man will zwar die Welt retten, aber seine Lebenssituation nicht verschlechtern. Von Opfern, die man angesichts der proklamierten Katstrophensituation vielleicht erbringen können müsste, und sei es nur ein Verzicht auf die gerade genannten rechtlichen Anforderungen, ist keine Rede.
Die Umsetzung des heute diskutierten Maßnahmenkatalogs dauert nicht nur zu lange, er ist auch nicht vollständig. Nur drei Gedanken dazu: Wohin mit dem Müll? Jetzt ist das sauberste Verfahren die Verbrennung. Bei einer angestrebten vollständigen Dekarbonisierung fällt diese Option weg. Globale Uneinheitlichkeit. Wenn führende Industrienationen ihren fossilen Rohstoffverbrauch signifikant reduzieren, sinkt dessen Preis und die den Klimawandel leugnenden Staaten profitieren davon und pfeifen auf den Klimaschutz. Selbst wenn Deutschland unter Mühen und Ächzen irgendwann seine ambitionierten selbstgesteckten Klimaziele erreicht, so wäre dies weltweit nur ein Beitrag von 2%. Bodenversiegelung, immer größere Städte, Abholzung des Regenwaldes - alles noch nicht berücksichtigt. Große Skepsis zum letztlichen Erfolg ist daher angebracht gegenüber diesen von oben, top down, initiierten technischen Lösungen. Dennoch – wir haben keine andere Wahl- wir müssen sie mit aller Kraft weiter unterstützen.
Die Öffentlichkeit stellt Forderungen an die Regierung – doch was kann der Einzelne tun? Sozusagen bottom up. Man schaue sich dazu einmal den eigenen ökologischen Fußabdruck an. Das sind Fragen zu unserer Lebensweise, unseren Wohnungen oder Häusern, Eß- und Reisegewohnheiten. Beantwortet man diese, bekommt man eine Zahl genannt, die zum Beispiel angibt, wieviel Erden, also wieviele unseres Planeten Erde, es geben müsste, wollten alle Menschen so leben wie wir. Oder wieviel CO2 man pro Jahr emittiert und wieviel es sein sollte, wollte man klimaneutral leben. Erschreckend ist, wir bräuchten 5-mal unseren Planeten, wenn alle Menschen so leben wollten wie wir. Erstaunt sind wir nicht, wir leben über unsere Verhältnisse. Spannend wird es, wenn wir jetzt versuchen einen Fußabdruck von 1 zu erreichen, indem wir für die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks fiktiv unsere gesamten Lebensgewohnheiten anpassen. Es funktioniert, aber die schlichte Erkenntnis ist, dass es nur unter radikalen Änderungen und Einschränkungen im Privaten geht. Unter Verzicht. Keine Flugreisen zum Urlaub auf die Kanaren, nur einmal Fleisch die Woche, Fahrradfahren statt SUV, eine kleinere.
Wohnung, und, und, und… Die Botschaft ist klar, doch wie soll sie umgesetzt werden, damit sie breitenwirksam wird? Keine demokratisch gewählte Regierung wird den politischen Selbstmord begehen und von ihren Bürgern Einschränkungen verlangen. Seien sie auch noch so sinnvoll und notwendig. Stichwort 130 km/h maximal. Der negative Verzicht muss durch etwas Positives ersetzt werden. Wir müssen daher auch eine neue Ethik schaffen, eine Klimaethik für klimaneutrales, klimagerechtes Verhalten. Statt von Verzicht auf Flugurlaub erhalten wir eine moralische Belohnung für einen Fahrradurlaub im eigenen Land. Statt zum Rumpsteakgrillen laden wir zu einem vegetarischen Fünf-Gänge-Menü ein und werden von unseren Gästen dafür zuhöchst gelobt. Wir brauchen kein künstliches Porsche Auspuffgeröhre, um von unseren Mitmenschen geachtet zu werden – ein leises Schnurren unseres E-Antriebes würde reichen. Eine Utopie – ich glaube nicht. Klimagerechtes Verhalten muss der neue Ethikmaßstab sein und wir können und müssen ihn entwickeln.
Da kann man skeptisch sein. Doch ein Beispiel, an das man vor 30 Jahren noch nicht gedacht hatte, ist erhellend. Wer hätte geglaubt, dass es möglich sei, auf alle tierischen Produkte zu verzichten, vegan zu leben? Man kannte dies nur von irgendeiner indischen Sekte, aber dass sich der Veganismus zu einer globalen Bewegung mit 1 Million Anhängern weltweit entwickeln könnte, hätte niemand gedacht. Dass es erstrebenswert sei, Plastikschuhe statt Lederschuhe anzuziehen? Es soll nicht darüber gewertet werden, ob dies gesund sei, ob der Mensch eigentlich ein Allesfresser sei, und Leder statt Plastik vielleicht unserer Haut besser täte – nein. Es geht darum, dass Menschen ihr Leben nach einem neuen ethischen Maßstab ausrichten und damit glücklich sind.
Ähnliches gilt für koscheres Essen, den Verzicht auf Schweinefleisch, den Fisch am Freitag, das Tragen des Fußballschals unseres Lieblingsvereins im und auf dem Weg zum Stadium. Wir befolgen diese ethischen, teils auch religiösen Maßstäbe und empfinden dabei Zufriedenheit und innere Genugtuung, die sich natürlich auch aus der Anerkennung durch Gleichgesinnte nährt. Wir brauchen daher eine solche Klimaethik und zu ihrer Entwicklung kann jeder beitragen.
Das dritte Feld – die menschliche Neugier. Was hier zu tun ist, liegt auf der Hand. Alle Forschung und Entwicklung zum Schutz unseres Klimas sind voranzutreiben. Von der Friedensforschung, über die Entwicklungshilfe, bis hin zu den zuvor genannten technischen Lösungen, muss der menschliche Geist primär ausgerichtet werden, die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen.
Wie geht es weiter? Bewältigung des Schicksals! Eins ist sicher, der Klimawandel hat uns erfasst und geht unerbittlich weiter. Die Gletscher werden weiter schmelzen, der Ozean wird sich weiter erwärmen und der Meeresspiegel wird weiter steigen, die Eisschilde von Grönland und Antarktis werden dünner, das Nordpolarmeer erhitzt sich und das Wetter weltweit reagiert darauf. Selbst wenn wir sämtlichen CO2-Ausstoß schlagartig abstellten, so wäre der Klimawandel so nicht zu stoppen, denn die genannten Prozesse brauchen einige Jahrzehnte bis Jahrhunderte, um ihren Trend umzukehren. Wir müssen uns daher trotz aller Anstrengungen zum Klimaschutz auch auf die Bewältigung der Folgen des Klimawandels einstellen. Die Folgen unseres Schicksals Klimawandel ertragen. Es gibt in ihrer Existenz bedrohte Länder und Regionen, wie Inseln und Küstenregionen und demzufolge als eine Folge des Klimawandels jede Menge Klimaflüchtlinge, von denen keiner unter die Rubrik Asylsuchende fällt. Und sie dennoch vor unserer Tür stehen und auf unseren Beitrag zum Klimawandel verweisen und Einlaß verlangen. Hier wird christliches Handeln auf Staatsebene gefragt sein.
Ich will hier nicht in die allgemeine Katastrophenmalerei einstimmen, aber die ökonomischen Anstrengungen für die Anpassung an das sich verändernde Klima werden für uns und die Weltgemeinschaft gewaltig sein, höhere Deiche, Schutz vor Starkniederschlägen, erhöhte Waldbrandgefahr, die Sicherung der Trinkwasserversorgung, Schutz vor neuen Krankheitserregern, um nur einige zu nennen. Wie geht es mit der Wirtschaft weiter, in einer Stadt wie Celle, wenn Erdöl out ist, wenn der Autoabsatz in die Krise kommt? Nicht mehr Wirtschaftswachstum wird gefragt sein – sondern ein Wirtschaftsmodell ausgerichtet auf das Überleben im Klimawandel. Wie wollen wir das alles lösen? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, die Aufgaben sind immens. Ich denke aber, ein Land wie Deutschland kann es schaffen. Wenn nicht wir, wer sonst? Tröstlich dabei ist, dass Anpassung an Klimawandel politisch einfacher umzusetzen ist als Klimaschutz: wenn das Wasser steigt, dann müssen die Deiche eben erhöht werden.
Damit zurück zur Eingangsfrage. Ja - der Klimawandel ist unser Schicksal. Aber wir können das Schicksal bewältigen, so oder so. Zusammengefasst: Auf der einen Seite müssen wir uns gegen die Ursachen des Klimawandels stemmen, auch wenn es manchmal aussichtslos erscheint. „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“ soll Luther gesagt haben. Auf der anderen Seite müssen wir uns gegen die Folgen des Klimawandels wappnen.
Unser christlicher Glaube wird uns dabei helfen, mit Gottvertrauen und in christlicher Solidarität.
Presse:
SWR AKTUELL
04.09.2019
Aktion des Mannheimer Kulturvereins Industrietempel "Appell zur Rettung der Welt" in Mannheim
Greta Thunberg lässt grüßen: Eine Klimaschützerin diskutiert mit dem Teufel und Gott, wie sich die Welt noch retten lässt... - in Form eines öffentlichen Theaterstücks, das am Freitag auf dem Mannheimer Marktplatz aufgeführt werden soll....
Mannheimer Morgen
07.08.2019
Stefan M. Dettinger im Interview mit Thomas Reutter